"Ihr griegt uns hier nicht raus"
über die Geschichte der besetzten Häuser (squads) Berlins

 

1. "Neue MännerInnen braucht das Land"

Einst hatten es Deutschlands junge Männer sehr schwer in ihrer Heimat. Kaum hatte Mann die Schule verlassen kam auch schon Vater Staat in Form eines Briefes angeflogen und forderte Maskulinum auf sich in die Kreiswehrersatzämter der jeweiligen Städte/Bezirke, zur Fleischbeschauung einzufinden um ihn einige Monate später, mit Gewehr und Uniform bestückt, durch Hitze, Regen, Schnee und Matsch zu hetzen. Das mag heute noch so sein, aber bis vor einem Jahrzehnt war es äußerst schwierig den Kriegsdienst zu verweigern. Die Situation schien, zumindest für die Jungs, die Regeln und Waffen haßten, auswegslos. Die Chancen für den Zivildienst anerkannt zu werden waren mager.

Aber gab es wirklich keine einzige Möglichkeit diesen unschönen Aussichten zu entfliehen?

- Doch, und der Name dieser Möglichkeit klingt für viele auch heute noch nach Spannung, nach Spontanität, Größe und Rausch: Berlin, was für ein Wort!

Die heikle geographische Lage West-Berlins, als Inselstadt im feindlichen sozialistischen Osten, war Schuld daran daß die Wehrpflicht dort niemals eingeführt wurde (was sich nach der Wende natürlich sofort änderte). Dieser Umstand zog über die Jahre zig-tausende von Freigeistern in die damals noch 'geistige Hauptstadt'. Wer in Berlin gemeldet war mußte nicht zum Bund, da wurde nicht lange überlegt, sondern Daumen raus und losgetrampt.

Die ersten Häuser wurden Anfang der siebziger Jahre in West-Berlin besetzt (wobei leerstehende Gebäude schon immer bewohnt wurden, aber damals entstand daraus eine richtige Bewegung). Zur gleichen Zeit machten sich Spekulanten ans Werk, einfache Mieter mit überhöhten Preisen aus ihren Wohnungen zu ekeln, um diese zu sanieren

und noch teurer an 'Besserverdienente' weiterzuvermieten. -Was für ein Glück für die sogenannten 'Wehrdienstflüchtigen Chaoten', die sich sofort dran machten, Listen von diesen unbewohnten Häusern zu erstellen. Ein Tag für die Aktion wurde ausgemacht und aufgrund der günstigen Verhältnisse zu jener Zeit, trafen sich dann auch 'ein paar' Leute um den Plan zu realisieren. Die Häuser wurden zum Ärger der geldgeilen Makler mietfrei bewohnt.

1981/82, dann, wurden die ersten 15 'Squads' geräumt. Es kam zu blutigen Straßenschlachten. Bei einem Polizeieinsatz wurde ein Hausbesetzer ermordet. Die staatliche Gewalt führte aber auch zu Zersplitterungen innerhalb der Szene, dabei spielte die nicht unbegründete Angst vor eingeschläußten Spitzeln die größte Rolle.

Trotzdem gab es vor der Wende über 200 besetzte Häuser. Große Teile der 'normalen Bevölkerung' akzeptierten und tollerierten die Besetzergruppen, das Interresse der Medien für Berlin als Frontstadt, die Zeugen der übertriebenen polizeilichen Gewalt gegenüber jungen Leuten brachten ihren Teil dazu bei. Dabei soll nicht verschwiegen werden, daß aus den Häusern auch mal Steine und andere Dinge flogen sobald Blaulicht gesichtet wurde. Die Gewalt war, zumindest bei diesem Thema, im Vergleich zu heute um einiges größer, wobei man auch bemerken muß, daß die "Störenfriede" nicht mit Wasserwerfern planlos in eine Menschenmenge umherspritzten, in der sich auch Kinder befanden,

so wie die Exekutive es, bei Demonstrationen, auch heute noch gern' praktiziert!

 

2. Anfang vom Ende und doch nicht aufgeben

Als '89 die Mauer fiel, sahen, viele Menschen hoffnungsvoll in eine große Zukunft. Andere schissen drauf, sahen aber im Osten Berlins ganze Straßenzüge, voll mit großen leerstehenden Gebäuden. Es fällt hierbei nicht schwer zu erraten, was diese Anderen, nachdem sie schmunzelnd einige Gegenden inspiziert hatten, wohl getan haben. Hierbei sollte man den Unwissenden mal erklären warum man sich überhaupt die action machte: suchen, finden, Leute auftreiben, planen, besetzen. Was ist das faszinierende an diesen Gegenden wo Möbelstücke wahrlos umherlagen, kaputte Autos dastanden als wären sie sich zu schade für den Schrott und die Häuser oftmals recht verfallen aussahen? Ein Hauptgrund wurde schon genannt: die Miete. Das Häuser zum wohnen da sind, das kapiert auch der letzte Bayer (leider hieß dieser Franz Josef Srauß, und Stoiber ist auch nicht ohne) deshalb dachten jene Leute ganz unkompliziert (und meiner bescheidenen Meinung nach auch völlig richtig), daß man dieses simple Stück Wahrheit leben sollte. Aber das mietfreie Wohnen war natürlich nicht der einzige Grund.

Denn wer nach Berlin kam (und das war in vielen anderen Großstädten ähnlich) und nicht wußte wo er unterkommen sollte, der fand, wenn er sich nicht allzu blöd anstellte, auf jeden Fall einen Pennplatz in einem Squad.

"Wir wollen zusammen leben und das nicht im Schließfach was'n Wohnklo hat", dieses Zitat eines Punksongs trifft wohl am ehesten das Lebensgefühl eines Hausbesetzers. Man wollte keine spießigen Nachbarn, keine kontrollierende Polizei, keine motzende Hausverwaltung und vor allem keine eiskalte Anonymität. Außerdem beinhaltete Zivilcourage, zumindest bei jenen die was in der Birne hatten, eine Selbstverständlichkeit die man sich in diesem Land häufig wünscht. Wenn auf der Straße z.B. eine Frau bedroht wird (und das ist heute noch so) dann werden nicht etwa die Vorhänge zugezogen und Ohren zugehalten, sondern es wird eben reagiert.

Als nun der neue Wohnraum in den östlichen Stadtteilen (vor allem Lichtenberg) erobert war, folgten sogleich auch wieder Räumungen. Diesmal lies das veränderte Grundgesetz der Staatsgewalt mehr freie Hand zu als früher. In der Szene gab es auch eine Art politischen Umbruch. Die Frage ob man sich nicht auf Verhandlungen mit der Stadt einlassen sollte wurde jetzt eher mit 'ja' beantwortet, bevor man blindlings 'nein' schrie und am Ende noch weniger davon hatte. So kam es, daß über die Hälfte der Squads durch Mietverträge legalisiert wurden. Im Zuge der sog. 'behutsamen Stadterneuerung' gab es nun staatliche Zuschüsse für die neu gegründeten Genossenschaften der ehemaligen Besetzergruppen. D.h. man bekam Geld für die eigenständige Sanierung verfallener Häuser und lebt darin bis heute zu niedrigsten Preisen. Auf dieser Ebene waren die Verhandlungen erst möglich.

Trotzdem, die Räumungen waren bitter. Der damalige Innensenator Schönbohm, ein ignoranter Faschist, lies im Winter '97 einige Häuser 'entleeren', die Bewohner 'durften' sich im Aufanglager einfinden. Es ist auch erstaunlich mit welchem Aufwand die Vertreibungen stattfanden. Als die Polizei ein Haus wegen proffesionell verriegelter Türen nicht stürmen konnte, holte sie sich kurzerhand einen Kran samt Container um sich in einem höheren Stockwerk Einlaß zu gewähren.

1999 wurde dann das letzte offiziell besetzte Haus, in der Pfarrstraße 104 (Lichtenberg) geräumt. Bei dieser Gelegenheit erschoss die Polizei grundlos einen Hundewelpen. Bis auf diese Tatsache konnte man alles in der Tagesschau sehen...

In den übrigen legalen Häusern herscht heute großes soziales Angagment welches ehrenamtlich vollzogen wird. Es gibt dort Filmvorführungen, Kindergärten, Jugendhilfs-, Antikriegs- und Afrikaprojekte. Durch die Sanierungen schafft man sich eigene Arbeitsplätze. Strom wird oft auch mit eigenen Solaranlagen hergestellt, und das billigst für fünf Cent die Kilowattstunde. Da fragt man sich doch warum man in den Medien fast nur negativ über dieses Thema berichtet. Klar alles hat zwei Seiten aber nur solange man nicht alles über einen Kamm schert.

Und falls sie, verehrter Leser, mal etwas über die 'asozialen Zustände' der besetzten Häuser in der Glotze sehen sollten - fragen sie sich selbst, was heißt das: einseitige Berichterstattung im verstaatlichten Fernsehen!

 

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